Herbert Schuch - Sehnsuchtswalzer
Herbert Schuch - Sehnsuchtswalzer
Mit Werken von:
Carl Czerny (1791-1857)
, Carl Maria von Weber (1786-1826)
, Franz Schubert (1797-1828)
, Robert Schumann (1810-1856)
Mitwirkende:
Herbert Schuch
2
CDs
CD (Compact Disc)
Herkömmliche CD, die mit allen CD-Playern und Computerlaufwerken, aber auch mit den meisten SACD- oder Multiplayern abspielbar ist.
-
Schumann: Schubert-Variationen "Sehnsuchtswalzer"; Papillons op. 2; Intermezzi op. 4; Carnaval op. 9
+Czerny: Schubert-Variationen op. 12 "Über den beliebten Wiener Trauer-Walzer"
+Schubert: 8 Tänze
+Weber: Aufforderung zum Tanze op. 65
- Künstler: Herbert Schuch (Klavier)
- Label: Oehms, DDD, 2009
- Bestellnummer: 7589354
- Erscheinungstermin: 1.1.2012
Herbert Schuchs neue CD beleuchtet den Einfluss der Schubert'schen Walzer, Ländler und Deutschen Tänze auf die romantische und virtuose Klavierkomposition im 19. Jahrhundert. Sowohl Schumann als auch Czerny verarbeiteten beispielsweise Schuberts Sehnsuchtswalzer in Variationenwerken. Czernys op. 12 trägt den Titel »Variationen über den beliebten Wiener Trauer-Walzer von Franz Schubert«. Schumanns Sehnsuchtswalzervariationen erklingen hier in der von Andreas Boyde nach dem Manuskript ergänzten Fassung. Weitere Schwerpunkte des Programms sind Schumanns berühmte Zyklen Carnaval und Papillons.
Die Sehnsucht im Walzer
Herbert Schuch und Marco Frei sprechen über das Konzept der CD
Herr Schuch, ist der Sehnsuchtswalzer von Schubert ein »Trauer-Walzer« ? Die Bezeichnung Trauer-Walzer war der Originaltitel, unter dem er 1821 erschienen ist. Schubert hat sich nach einem Bericht Joseph Spauns jedenfalls über diesen Zusatz geärgert. Schon zu Schumanns Zeiten wurde aber der Begriff Sehnsuchtswalzer gleichberechtigt gebraucht. Hierzu schreibt Schumann 1836 in einer Kritik in der Neuen Zeitschrift für Musik: »Erste Walzer von Franz Schubert. Kleine Genien, die ihr nicht höher über der Erde schwebt als etwa die Höhe einer Blume ist, – zwar mag ich den Sehnsuchtswalzer, in dem sich schon hundert Mädchengefühle abgebadet, und auch die drei letzten nicht, die ich als ästhetischen Fehler im Ganzen ihrem Schöpfer nicht verzeihe; – aber wie sich die übrigen um jenen herumdrehen, ihn mit duftigen Fäden mehr oder weniger einspinnen und wie sich durch alle eine so schwärmerische Gedankenlosigkeit zieht, daß man es selbst wird, und beim letzten noch im ersten zu spielen glaubt – ist gar gut.«
Warum mochte Schumann den Sehnsuchtswalzer nicht? Immerhin hatte er doch erst 1833 etliche Variationen darüber komponiert.
Vermutlich war er mit diesen Variationen nicht wirklich zufrieden, weshalb sie Fragment geblieben sind. Auf meiner CD bediene ich mich der Edition meines Kollegen Andreas Boyde, der vor zehn Jahren eine spielbare Version des Fragments herausgegeben hat. Ich habe mir erlaubt, die eine oder andere Wiederholung einzufügen, weil ich den Eindruck hatte, dass diese Stücke – übrigens in einer der drei Niederschriften als »scènes mignonnes« betitelt – sonst allzu kurz geraten.
Was faszinierte Sie an Schumanns Variationen, dass Sie sie eingespielt haben? Dass Schumann Charakterstudien geschaffen hat. Ich finde es verblüffend, wie viele und verschiedene Charaktere er darzustellen in der Lage ist. Man gewinnt einen Blick in Schumanns Studierstube. Es ist außerdem spannend zu sehen, wie aus diesem abgebrochenen Variationenversuch etwas komplett Neues wird, indem dessen Einleitung nun plötzlich den Carnaval eröffnet. Und da auch Carl Czerny den Sehnsuchtswalzer variiert, wollte ich beide Reflexionen koppeln.
Wie sind Sie auf den Sehnsuchtswalzer gekommen?
Eben durch den Carnaval. Ich empfand dieses Stück immer als rätselhaft, also habe ich seine Entstehungsgeschichte nachverfolgt. Der Carnaval ist für mich eine Art postmodernes Stück, weil Schumann Dinge zusammenfügt und klar benennt, die überhaupt nicht zusammenpassen. Einerseits werden real existierende Personen der damaligen Zeit porträtiert (Chopin etwa), andererseits Figuren aus der Commedia dell'arte (Harlekin beispielsweise); es gibt imaginäre Ballszenen. Der Werktitel versucht, dies zu rechtfertigen: Im Karneval ist alles erlaubt. Das ist ein kluger Schachzug.
Wo sehen Sie Parallelen zu den anderen Werken?
Auch in den Papillons hat sich Schumann mehr oder weniger im Nachhinein oder durch Assoziationen eine Konstruktion ausgedacht, die Unzusammenhängendes in einem Zusammenhang sieht – diesmal ein Kapitel aus Jean Pauls Flegeljahren. Zudem sind die Papillons und die Intermezzi aus den gleichen Skizzenbüchern entstanden, aus ein und derselben Ideen- und Stoffsammlung. Es gibt auch staunenswerte Parallelen zwischen den Papillons und dem Carnaval zu Webers Aufforderung zum Tanze, die Schumann als Teenager selbst gespielt hatte: Bei Weber wird die Einleitung überraschenderweise wie ein Fazit am Schluss des Werkes noch einmal zitiert, in den Papillons taucht auf einmal der erste Walzer am Schluss des Werkes wieder auf. Im Carnaval gibt es einen doppelten Rückgriff: Hier werden ebenfalls Teile aus der Einleitung im Finale eingeschoben, es gibt aber auch Reminiszenzen an die Papillons. Ich denke, dass durch diese Rückgriffe über die Stückgrenzen hinaus versucht wird, eine Art von geheimnisvollem Zusammenhang zu schaffen, ähnlich wie sein vergöttertes Idol Jean Paul, der an einer Stelle schrieb, er wolle aus all seinen Romanen einen Roman machen. Zurück zu Weber: Es ist erstaunlich, wie Weber hier den Typus des Chopinschen Konzertwalzers vorwegnimmt. Dieses Werk ist für mich ein Wunder! Zugleich gibt es Walzer von Schubert, in denen ich bereits Schumann zu hören meine. Mich hat also auch interessiert, woher Schumann und seine Idee des Tanzes kommen. In diesem Sinne ist die zweite CD als eine Art Anhang zu verstehen.
Zumal mit den Deutschen Tänzen von Schubert mindestens indirekt die Brücke zum Ursprung des Walzers geschlagen wird, zählt doch der Deutsche Tanz zu seinen Vorläufern.
In Schuberts Autograph des Sehnsuchtswalzers ist dieser ein Ländler, in der eigenhändigen Kopie ein Deutscher und in der gedruckten Ausgabe ein Walzer. Ich glaube, dass man diese unterschiedlichen Begriffe zwar verordnen kann, aber sie überlagern sich auch. Schubert hielt von solchen strikten Trennungen nicht viel – zumal die Frage kaum zu beantworten ist, wann und wo der erste Walzer auftauchte.
Welche Funktion hat der Walzer bei Schumann?
Ich glaube, dass der Walzer Schumann eine Form an die Hand gegeben hat – einen Vorder- und Nachsatz, Wiederholungen, die eine Struktur schaffen. Schumann hatte ein besonders glückliches Händchen dafür, obwohl er wohl kein leidenschaftlicher Tänzer war. Für ihn hatte der Tanz nicht unbedingt diese Funktion, sondern er war für ihn ein gutes Mittel, sich selbst zu erlauben, in knapper Zeit etwas zu sagen.
Auch zur semantischen Brechung zwischen dem Ich und Ihr, von Mit- und Gegenwelt, Außen- und Innenwelt, Integration und Desintegration – die Tonio Krögersche Sehnsucht, dazuzugehören?
Schumann hat sicher unter einer fehlenden Akzeptanz gelitten. Er zählte zu den ersten Komponisten, die sich bewusst waren, dass der Musiker, der mit der Welt im Einklang ist, der Vergangenheit angehört. In den Intermezzi z. B. ist der Tanzrhythmus doch schon völlig explodiert! Aber das Verzweifeln an der Welt äußert sich ja auch in seinen anderen Werken und nicht nur explizit im Dreivierteltakt. Und auch Schuberts Doppelbödigkeit beschränkt sich nicht nur auf den Walzer, das drückt sich in jeder Note aus. Das Gefühl, nicht mehr auf normalem Grund zu stehen – das zieht sich wie ein roter Faden durch sein Schaffen.
Dennoch prägt dieses Spannungsfeld generell die Walzer-Rezeption, man denke nur an Hector Berlioz, Peter Tschaikowsky, Gustav Mahler oder Dmitri Schostakowitsch. Inwieweit äußert sich dies auch auf der CD?
In dem Sinne, dass einerseits Werke zu hören sind, in denen der Zeitgeschmack bedient, und andererseits solche, in denen dagegen angespielt, auch aufbegehrt wurde. Generell überlasse ich das gerne der Fantasie des Hörers, zumal sich all diese Ebenen auch überlagern und es mitunter Schnittpunkte gibt. Aber sicher: In Mozarts Don Giovanni ist es offenkundig so, dass die gesellschaftlichen Stände durch Tänze charakterisiert werden. Und Czernys Variationen über Schuberts Sehnsuchtswalzer sind natürlich purer Biedermeier.
Womit also Czerny mitten in der Gesellschaft steht?
Ich höre jedenfalls in seinen Variationen keine einzige Stelle, in denen sich Dinge ereignen, die Schuberts harmonische Gebrochenheit vertiefen. Die Harmonik wird lediglich virtuos aufgepeppt. So gesehen möchte ich nicht widersprechen: Das Stück stand tatsächlich in der Mitte der damaligen Gesellschaft und des damaligen Geschmacks. Deswegen haben diese Variationen für mich heute keine große Aktualität. Ich habe sie eingespielt, weil ich die Gegensätze zwischen Schumanns und Czernys Schubert-Variationen so »verrückt« fand. Außerdem schimmert durch den Flor der Czernyschen Ordnung immer noch das Chaos des Schubert-Themas.
Was macht Czerny mit Schuberts Sehnsuchtswalzer, was Schumann nicht macht?
Schumann macht genau das Gegenteil von Czerny. Einerseits taucht in den Skizzen zu seinen Variationen an keiner Stelle der Hinweis auf, dass irgendwo der Schubert-Walzer gespielt werden soll. Zum anderen aber verzichtet Schumann auf jegliche Virtuosität und lotet tief harmonische Fragestellungen aus. Dagegen folgen die Czerny-Variationen dem damals gängigen und beliebten Schema F, also virtuose Einleitung, Thema und rasche Steigerung mit einem großen Finale. Das ist eine Aneinanderreihung von virtuosen und effektvollen Gesten, und dass da ein toller Pianist am Werk ist, merkt man den Stücken natürlich an. Ob sich wohl Schumann ärgert, dass er auf meiner CD mit einem seiner musikalischen Lieblingsfeinde zusammengetan wird? 1836 schreibt er recht gehässig über ein anderes Werk von Czerny: »Herrn Czerny kann man nicht einholen mit aller kritischen Schnelligkeit. Hätte ich Feinde, nichts als solche Musik gäbe ich ihnen zu hören, sie zu vernichten. Die Fadheit dieser Variationen ist wahrhaft remarkabel.«
(OehmsClassics)
Die Sehnsucht im Walzer
Herbert Schuch und Marco Frei sprechen über das Konzept der CD
Herr Schuch, ist der Sehnsuchtswalzer von Schubert ein »Trauer-Walzer« ? Die Bezeichnung Trauer-Walzer war der Originaltitel, unter dem er 1821 erschienen ist. Schubert hat sich nach einem Bericht Joseph Spauns jedenfalls über diesen Zusatz geärgert. Schon zu Schumanns Zeiten wurde aber der Begriff Sehnsuchtswalzer gleichberechtigt gebraucht. Hierzu schreibt Schumann 1836 in einer Kritik in der Neuen Zeitschrift für Musik: »Erste Walzer von Franz Schubert. Kleine Genien, die ihr nicht höher über der Erde schwebt als etwa die Höhe einer Blume ist, – zwar mag ich den Sehnsuchtswalzer, in dem sich schon hundert Mädchengefühle abgebadet, und auch die drei letzten nicht, die ich als ästhetischen Fehler im Ganzen ihrem Schöpfer nicht verzeihe; – aber wie sich die übrigen um jenen herumdrehen, ihn mit duftigen Fäden mehr oder weniger einspinnen und wie sich durch alle eine so schwärmerische Gedankenlosigkeit zieht, daß man es selbst wird, und beim letzten noch im ersten zu spielen glaubt – ist gar gut.«
Warum mochte Schumann den Sehnsuchtswalzer nicht? Immerhin hatte er doch erst 1833 etliche Variationen darüber komponiert.
Vermutlich war er mit diesen Variationen nicht wirklich zufrieden, weshalb sie Fragment geblieben sind. Auf meiner CD bediene ich mich der Edition meines Kollegen Andreas Boyde, der vor zehn Jahren eine spielbare Version des Fragments herausgegeben hat. Ich habe mir erlaubt, die eine oder andere Wiederholung einzufügen, weil ich den Eindruck hatte, dass diese Stücke – übrigens in einer der drei Niederschriften als »scènes mignonnes« betitelt – sonst allzu kurz geraten.
Was faszinierte Sie an Schumanns Variationen, dass Sie sie eingespielt haben? Dass Schumann Charakterstudien geschaffen hat. Ich finde es verblüffend, wie viele und verschiedene Charaktere er darzustellen in der Lage ist. Man gewinnt einen Blick in Schumanns Studierstube. Es ist außerdem spannend zu sehen, wie aus diesem abgebrochenen Variationenversuch etwas komplett Neues wird, indem dessen Einleitung nun plötzlich den Carnaval eröffnet. Und da auch Carl Czerny den Sehnsuchtswalzer variiert, wollte ich beide Reflexionen koppeln.
Wie sind Sie auf den Sehnsuchtswalzer gekommen?
Eben durch den Carnaval. Ich empfand dieses Stück immer als rätselhaft, also habe ich seine Entstehungsgeschichte nachverfolgt. Der Carnaval ist für mich eine Art postmodernes Stück, weil Schumann Dinge zusammenfügt und klar benennt, die überhaupt nicht zusammenpassen. Einerseits werden real existierende Personen der damaligen Zeit porträtiert (Chopin etwa), andererseits Figuren aus der Commedia dell'arte (Harlekin beispielsweise); es gibt imaginäre Ballszenen. Der Werktitel versucht, dies zu rechtfertigen: Im Karneval ist alles erlaubt. Das ist ein kluger Schachzug.
Wo sehen Sie Parallelen zu den anderen Werken?
Auch in den Papillons hat sich Schumann mehr oder weniger im Nachhinein oder durch Assoziationen eine Konstruktion ausgedacht, die Unzusammenhängendes in einem Zusammenhang sieht – diesmal ein Kapitel aus Jean Pauls Flegeljahren. Zudem sind die Papillons und die Intermezzi aus den gleichen Skizzenbüchern entstanden, aus ein und derselben Ideen- und Stoffsammlung. Es gibt auch staunenswerte Parallelen zwischen den Papillons und dem Carnaval zu Webers Aufforderung zum Tanze, die Schumann als Teenager selbst gespielt hatte: Bei Weber wird die Einleitung überraschenderweise wie ein Fazit am Schluss des Werkes noch einmal zitiert, in den Papillons taucht auf einmal der erste Walzer am Schluss des Werkes wieder auf. Im Carnaval gibt es einen doppelten Rückgriff: Hier werden ebenfalls Teile aus der Einleitung im Finale eingeschoben, es gibt aber auch Reminiszenzen an die Papillons. Ich denke, dass durch diese Rückgriffe über die Stückgrenzen hinaus versucht wird, eine Art von geheimnisvollem Zusammenhang zu schaffen, ähnlich wie sein vergöttertes Idol Jean Paul, der an einer Stelle schrieb, er wolle aus all seinen Romanen einen Roman machen. Zurück zu Weber: Es ist erstaunlich, wie Weber hier den Typus des Chopinschen Konzertwalzers vorwegnimmt. Dieses Werk ist für mich ein Wunder! Zugleich gibt es Walzer von Schubert, in denen ich bereits Schumann zu hören meine. Mich hat also auch interessiert, woher Schumann und seine Idee des Tanzes kommen. In diesem Sinne ist die zweite CD als eine Art Anhang zu verstehen.
Zumal mit den Deutschen Tänzen von Schubert mindestens indirekt die Brücke zum Ursprung des Walzers geschlagen wird, zählt doch der Deutsche Tanz zu seinen Vorläufern.
In Schuberts Autograph des Sehnsuchtswalzers ist dieser ein Ländler, in der eigenhändigen Kopie ein Deutscher und in der gedruckten Ausgabe ein Walzer. Ich glaube, dass man diese unterschiedlichen Begriffe zwar verordnen kann, aber sie überlagern sich auch. Schubert hielt von solchen strikten Trennungen nicht viel – zumal die Frage kaum zu beantworten ist, wann und wo der erste Walzer auftauchte.
Welche Funktion hat der Walzer bei Schumann?
Ich glaube, dass der Walzer Schumann eine Form an die Hand gegeben hat – einen Vorder- und Nachsatz, Wiederholungen, die eine Struktur schaffen. Schumann hatte ein besonders glückliches Händchen dafür, obwohl er wohl kein leidenschaftlicher Tänzer war. Für ihn hatte der Tanz nicht unbedingt diese Funktion, sondern er war für ihn ein gutes Mittel, sich selbst zu erlauben, in knapper Zeit etwas zu sagen.
Auch zur semantischen Brechung zwischen dem Ich und Ihr, von Mit- und Gegenwelt, Außen- und Innenwelt, Integration und Desintegration – die Tonio Krögersche Sehnsucht, dazuzugehören?
Schumann hat sicher unter einer fehlenden Akzeptanz gelitten. Er zählte zu den ersten Komponisten, die sich bewusst waren, dass der Musiker, der mit der Welt im Einklang ist, der Vergangenheit angehört. In den Intermezzi z. B. ist der Tanzrhythmus doch schon völlig explodiert! Aber das Verzweifeln an der Welt äußert sich ja auch in seinen anderen Werken und nicht nur explizit im Dreivierteltakt. Und auch Schuberts Doppelbödigkeit beschränkt sich nicht nur auf den Walzer, das drückt sich in jeder Note aus. Das Gefühl, nicht mehr auf normalem Grund zu stehen – das zieht sich wie ein roter Faden durch sein Schaffen.
Dennoch prägt dieses Spannungsfeld generell die Walzer-Rezeption, man denke nur an Hector Berlioz, Peter Tschaikowsky, Gustav Mahler oder Dmitri Schostakowitsch. Inwieweit äußert sich dies auch auf der CD?
In dem Sinne, dass einerseits Werke zu hören sind, in denen der Zeitgeschmack bedient, und andererseits solche, in denen dagegen angespielt, auch aufbegehrt wurde. Generell überlasse ich das gerne der Fantasie des Hörers, zumal sich all diese Ebenen auch überlagern und es mitunter Schnittpunkte gibt. Aber sicher: In Mozarts Don Giovanni ist es offenkundig so, dass die gesellschaftlichen Stände durch Tänze charakterisiert werden. Und Czernys Variationen über Schuberts Sehnsuchtswalzer sind natürlich purer Biedermeier.
Womit also Czerny mitten in der Gesellschaft steht?
Ich höre jedenfalls in seinen Variationen keine einzige Stelle, in denen sich Dinge ereignen, die Schuberts harmonische Gebrochenheit vertiefen. Die Harmonik wird lediglich virtuos aufgepeppt. So gesehen möchte ich nicht widersprechen: Das Stück stand tatsächlich in der Mitte der damaligen Gesellschaft und des damaligen Geschmacks. Deswegen haben diese Variationen für mich heute keine große Aktualität. Ich habe sie eingespielt, weil ich die Gegensätze zwischen Schumanns und Czernys Schubert-Variationen so »verrückt« fand. Außerdem schimmert durch den Flor der Czernyschen Ordnung immer noch das Chaos des Schubert-Themas.
Was macht Czerny mit Schuberts Sehnsuchtswalzer, was Schumann nicht macht?
Schumann macht genau das Gegenteil von Czerny. Einerseits taucht in den Skizzen zu seinen Variationen an keiner Stelle der Hinweis auf, dass irgendwo der Schubert-Walzer gespielt werden soll. Zum anderen aber verzichtet Schumann auf jegliche Virtuosität und lotet tief harmonische Fragestellungen aus. Dagegen folgen die Czerny-Variationen dem damals gängigen und beliebten Schema F, also virtuose Einleitung, Thema und rasche Steigerung mit einem großen Finale. Das ist eine Aneinanderreihung von virtuosen und effektvollen Gesten, und dass da ein toller Pianist am Werk ist, merkt man den Stücken natürlich an. Ob sich wohl Schumann ärgert, dass er auf meiner CD mit einem seiner musikalischen Lieblingsfeinde zusammengetan wird? 1836 schreibt er recht gehässig über ein anderes Werk von Czerny: »Herrn Czerny kann man nicht einholen mit aller kritischen Schnelligkeit. Hätte ich Feinde, nichts als solche Musik gäbe ich ihnen zu hören, sie zu vernichten. Die Fadheit dieser Variationen ist wahrhaft remarkabel.«
(OehmsClassics)
Rezensionen
FonoForum 04/11: »Es ist beeindruckend, welche Farbpalette Schuch zur Verfügung steht. Wenn die Musik es fordert, dann kann Schuch auch kraftvoll zupacken. Und dass er Spaß an virtuosen Effektstücken hat, zeigt seine Interpretation von Czernys Variationen: Schuch berauscht sich hier an seinen eigen Trillern und stürzt sich kopfüber in die Tongirlanden. Auch die Aufnahmetechnik überzeugt durch natürlichen und räumlichen Klavierklang.«- Tracklisting
- Details
- Mitwirkende
Disk 1 von 2 (CD)
Variationen über ein Thema von Schubert "Sehnsuchtswalzervariationen"
- 1 Maestoso
- 2 Variation 1
- 3 Ritornell 1
- 4 Variation 2
- 5 Ritornell 2
- 6 Variation 3
- 7 Ritornell 3
- 8 Variation 4
- 9 Ritornell 4
- 10 Variation 5
- 11 Thema: Sehnsuchtswalzer
Papillons op. 2
- 12 Introduzione: Moderato
- 13 Nr. 1: Introduzione (Moderato)
- 14 Nr. 2: Prestissimo
- 15 Nr. 3: (ohne Satzbezeichnung)
- 16 Nr. 4: Presto
- 17 Nr. 5: (ohne Satzbezeichnung)
- 18 Nr. 6: (ohne Satzbezeichnung)
- 19 Nr. 7: Semplice
- 20 Nr. 8: (ohne Satzbezeichnung)
- 21 Nr. 9: Prestissimo
- 22 Nr. 10: Vivo - Più lento
- 23 Nr. 11: (ohne Satzbezeichnung)
- 24 Nr. 12: Finale
Intermezzi op. 4 Nr. 1-6
- 25 Nr. 1: Allegro quasi maestoso
- 26 Nr. 2: Presto a capriccio
- 27 Nr. 3: Allegro marcato
- 28 Nr. 4: Allegro semplice
- 29 Nr. 5: Allegro moderato
- 30 Nr. 6: Allegro
Carnaval op. 9 (21 Stücke für Klavier)
- 31 Nr. 1: Préambule
- 32 Nr. 2: Pierrot
- 33 Nr. 3: Arlequin
- 34 Nr. 4: Valse noble
- 35 Nr. 5: Eusebius
- 36 Nr. 6: Florestan
- 37 Nr. 7: Coquette
- 38 Nr. 8: Replique
- 39 Nr. 9: Sphinxes
- 40 Nr. 10: Papillons
- 41 Nr. 11: A.S.C.H. - S.C.H.A. (Lettres dansantes)
- 42 Nr. 12: Chiarina
- 43 Nr. 13: Chopin
- 44 Nr. 14: Estrella
- 45 Nr. 15: Reconnaissance
- 46 Nr. 16: Pantalon et Columbine
- 47 Nr. 17: Valse allemande - Paganini - Tempo I ma più vivo
- 48 Nr. 18: Aveu
- 49 Nr. 19: Promenade
- 50 Nr. 20: Pause
- 51 Nr. 21: Marche des "Davidsbündler" contre les Philistins
Disk 2 von 2 (CD)
- 1 Carl Czerny: Variationen über den beliebten Wiener Trauer-Walzer von Franz Schubert op. 12
Deutsche Tänze D 783 Nr. 1-16 (aus op. 33) (Auszug)
- 2 Nr. 15: As-Dur
Deutsche Tänze op. 171 D 790 Nr. 1-12 (Ländler)
- 3 Nr. 11: As-Dur
Originaltänze op. 9 D 365 Nr. 1-36 (Auszug)
- 4 Nr. 6: As-Dur
- 5 Nr. 14: Des-Dur
- 6 Nr. 22: H-Dur
Wiener Damen-Ländler Nr. 1-16 (Auszug)
- 7 Nr. 14: H-Dur
Valses Sentimentales op. 50 D 779 Nr. 1-34 (Walzer) (Auszug)
- 8 Nr. 13: A-Dur
Deutsche Tänze op. 171 D 790 Nr. 1-12 (Ländler)
- 9 Nr. 3: D-Dur
- 10 Carl Maria von Weber: Aufforderung zum Tanz op. 65 (für Klavier)
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