Fortuna Ehrenfeld: Helm ab zum Gebet
Ein Gemeinschaftswerk
Fortuna Ehrenfeld sind zurück. Die Kölner Indiepopband um Martin Bechler präsentierte 2019 ihren dritten Longplayer.
»Helm ab zum Gebet« ist ein Trioalbum, ein Gemeinschaftswerk, 13 Songs zwischen Poesie und Pop, Melancholie und Begeisterung.
Helm ab zum Gebet
CD
CD (Compact Disc)
Herkömmliche CD, die mit allen CD-Playern und Computerlaufwerken, aber auch mit den meisten SACD- oder Multiplayern abspielbar ist.
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- Label: Grand Hotel Van Cleef, 2019
- Erscheinungstermin: 3.5.2019
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*** Digipack
Wie groß sind die Ärmel von Martin Bechlers Schlafanzug? Und was zur Hölle kann er da noch alles rausschütteln? Diese Fragen stellen sich sofort, wenn man »Helm ab zum Gebet« hört. Denn dieses Album klingt so dermaßen lässig und unangestrengt, als sei das alles gar nix Besonderes. Als wäre es das Leichteste der Welt, sein Herz für Pop, Poesie und Abseitiges brennen zu lassen und damit die Lunte am ganz großen Gefühlsrad anzuzünden. Und als wäre es ein Kinderspiel, eine Platte rauszuhauen, auf die viele Leute in diesem Land warten und die noch mehr Leute ganz dringend nötig haben.
Denn Fortuna Ehrenfeld stehen seit ihrem letzten Album »Hey sexy« und den anschließenden Konzerten weit oben auf den Zetteln: Das musst du dir anhören! Die spielen nächste Woche, komm mit! Und die Chance, eine neue Lieblingsband zu entdecken, wurde ausgiebig genutzt. Auf feinen Festivals wie dem Haldern oder dem Orange Blossom. Im Garten deiner Nachbarn. Im Vorprogramm von Kettcar. Und immer mehr auch auf eigene Faust und auf eigenen Shows. Bis sich am Ende des vergangenen Jahres 500 Menschen in den Club quetschen und Rotz und Liebe heulen. Und feiern, weil da oben drei Leute stehen und eine Nummer hinlegen, wie man sie hierzulande kein zweites Mal geliefert bekommt: Poesie ohne Kitsch. Gefühl ohne Kalkül. Musikalische Präzision ohne Muckerallüren. Und eben auch eine ordentliche Portion Weirdness, Wahnsinn und künstlerisches Risiko. Wenn der Bogen von Tresenballaden bis zu Dancebeats reicht, von Dada bis Weill, vom Stecknadelfall bis zur Blaskapelle, und wenn das alles gesungen wird von einem Typen, der im Pyjama und mit Bärentatzenschuhen auf die Bühne kommt, kann es eine Band ganz schnell vom Drahtseil fegen. Doch Fortuna Ehrenfeld wackeln nicht und zaudern nicht. Sondern liefern ab. Mit gradem Rücken. Mit großem Herz. Und mit einem Extrapack Flausen, der ihnen schön chaotisch durchs Oberstübchen flattert.
Die Entstehungsgeschichte von »Helm ab zum Gebet« ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass Erfolg und Erwartungen nicht zwangsläufig Druck erzeugen müssen. Ganz im Gegenteil. Die positiven Reaktionen seit »Hey sexy« haben Martin Bechler befreit und beflügelt, weil ihm dadurch klar wurde: Er ist auf dem richtigen Weg. Es gibt Leute da draußen, die das schätzen, feiern und lieben, was er da macht. Und weil Bechler sein Publikum mag und nicht gerne vor den Kopf stößt, nimmt er mit dem neuen Album den Faden auf, mit dem er sich schon auf »Hey sexy« einen Gleitschirm aus großen Momenten und kleinen Sonderbarkeiten genäht hat.
Im Gegensatz zu den ersten beiden Alben ist »Helm ab zum Gebet« kein Alleingang, sondern das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung. Paul Weißert am Schlagzeug und Jenny Thiele am Keyboard, Synthie und Mikro sorgen live schon seit längerem dafür, dass Martin Bechler sich auf der Bühne auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren kann: Wein trinken. Unrasiert eskalieren. Die Maren in der dritten Reihe ins Grübeln bringen, ob der sie von hinten am Bauch umschlingende und ihr viel zu laut und viel zu falsch die Texte ins Ohr brüllende Jochen wirklich der Richtige ist. Und jetzt eben auch auf Platte, was für viele tolle Momente sorgt: Echte Beats von echten Drums etwa. Oder wenn Jennys Gesang den Titelsong in der zweiten Strophe beinahe kapert und zu einem ergreifenden Duett macht. Und apropos Duette: Bei »Die Umarmung der Magneten« singt Enno Bunger mit, ein musikalischer Seelenverwandter. Beim Festival getroffen, bisschen gequatscht, direkt gemocht, die Musik des jeweils anderen eh schon gefeiert und dann was ausgeheckt – so werden in Köln Kooperationen angebahnt.
Die letzten Fortuna Ehrenfeld-Touren haben aber nicht nur dafür gesorgt, dass nun auch auf Platte aus der Ein-Mann-Armee eine Band geworden ist. Sie haben auch klanglich direkte Folgen. Denn Bechlers Stimme ist ordentlich durch den Wolf gedreht. Offenbar hat jeder dieser 130 Auftritte eine Kerbe auf den Stimmbändern hinterlassen, so heiser, gebrochen und kratzig klingt er auf »Helm ab zum Gebet«. Spielt aber keine große Rolle, denn Bechler ist ohnehin kein Sänger, sondern ein Erzähler. Und genau wie die vorherigen Alben hat auch »Helm ab zum Gebet« wieder Unmengen an lyrischen Momenten in petto, die keiner so nonchalant formulieren kann wie er: Das Sehnen nach Sinn. Das Feiern des Augenblicks. Der Torkel nachts um halb vier vor der Kneipe. Panoramamenschen, hustende Kaninchen, eine Frau namens Heliumsabine. Und, natürlich, die Liebe und die Leidenschaft und die Romantik und all das, was schon viel zu oft schlecht besungen wurde aber immer noch viel zu selten gut. Und hier ist es gut, nein: besser, ach: vielleicht sogar am besten gemacht.
Fortuna Ehrenfeld wissen, wie schnell man in diesem Metier vom Emotionalen ins Pathetische kippen kann. Deshalb sorgen sie mit genau gesetzten Brüchen dafür, dass hier keiner vor Ergriffenheit den sterbenden Schwan geben muss. Ein Beispiel von vielen ist der NDW-Klopper »Das ist Punk, das raffst du nie«, der einem in bester Trio-Tradition vors Schienbein tritt. Interessanterweise entwertet das Infantile und das Irritierende die großen Gefühlsmomente dieser Platte nicht, sondern lässt sie im Gegenteil noch echter und noch wahrer wirken. Das ist ein Kunststück, und zwar kein kleines. Genauso wie die Gabe dieser Band, den Songs über Bilder und Assoziationen lediglich einen groben Bedeutungsrahmen mitzugeben. Den Rest müssen dann die Hörer erledigen und sich ihren eigenen Sinn suchen. Ob sie dann am Ende dort landen, wo die Band ursprünglich hinwollte, ist Martin Bechler herzlich wumpe. Schließlich weiß er manchmal selbst nicht so genau, was er da schreibt und warum. Er ist, wenn man so will, der Liedermacher mit dem Mittelfinger.
Und zwar einer mit einem ganz klaren Plan: Wenn sich schon die Texte gerne mal in die Kurve legen, mit Fragezeichen um sich werfen, einen am Kragen packen, in den Arm nehmen und ordentlich rühren und schütteln wie ein Barkeeper den perfekten Martini, soll die Musik es einem nicht auch noch schwer machen. Sondern lieber begleiten, akzentuieren, den passenden Rahmen setzen. Das heißt nicht, dass man hier Easy Listening für den kulturell saturierten Indiepop-Fan geliefert bekommt. Es ist vielmehr die hohe Kunst des Weg- und Auslassens, die Fortuna Ehrenfeld pflegen. Und die im Grunde so funktioniert, dass Bechler die Spuren vollhaut mit hier noch einem Gitarrenmotiv und dort einem Piano-Arpeggio – und dann kommt Produzent René Tinner und löscht den Großteil davon einfach wieder raus. So entsteht Größe durch Reduktion, und so werden Fortuna Ehrenfeld endgültig zu einer Band, die nicht nur lyrisch, sondern auch musikalisch klingt wie keine andere.
Und die dazu einen Output hat, der fast schon beängstigt. Ein paar Tage nach dem letzten Konzert im Dezember 2018 ging es los. Morgens geschrieben, nachmittags aufgenommen, abends gemischt, am nächsten Tag noch einmal drübergehört, fertig: So ist ein Großteil der Songs entstanden.
Melancholisch und euphorisch. Großmäulig und sensibel. Universumsgroß und schnapsglasklein. Das alles und noch so viel mehr ist diese Platte, die nur 37 Minuten dauert, aber Material genug liefert, um damit über die nächsten Wochen und Monate zu kommen. Helm ab? Hut ab! Und jetzt tanz, du Sau!
Ingo Neumayer
Denn Fortuna Ehrenfeld stehen seit ihrem letzten Album »Hey sexy« und den anschließenden Konzerten weit oben auf den Zetteln: Das musst du dir anhören! Die spielen nächste Woche, komm mit! Und die Chance, eine neue Lieblingsband zu entdecken, wurde ausgiebig genutzt. Auf feinen Festivals wie dem Haldern oder dem Orange Blossom. Im Garten deiner Nachbarn. Im Vorprogramm von Kettcar. Und immer mehr auch auf eigene Faust und auf eigenen Shows. Bis sich am Ende des vergangenen Jahres 500 Menschen in den Club quetschen und Rotz und Liebe heulen. Und feiern, weil da oben drei Leute stehen und eine Nummer hinlegen, wie man sie hierzulande kein zweites Mal geliefert bekommt: Poesie ohne Kitsch. Gefühl ohne Kalkül. Musikalische Präzision ohne Muckerallüren. Und eben auch eine ordentliche Portion Weirdness, Wahnsinn und künstlerisches Risiko. Wenn der Bogen von Tresenballaden bis zu Dancebeats reicht, von Dada bis Weill, vom Stecknadelfall bis zur Blaskapelle, und wenn das alles gesungen wird von einem Typen, der im Pyjama und mit Bärentatzenschuhen auf die Bühne kommt, kann es eine Band ganz schnell vom Drahtseil fegen. Doch Fortuna Ehrenfeld wackeln nicht und zaudern nicht. Sondern liefern ab. Mit gradem Rücken. Mit großem Herz. Und mit einem Extrapack Flausen, der ihnen schön chaotisch durchs Oberstübchen flattert.
Die Entstehungsgeschichte von »Helm ab zum Gebet« ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass Erfolg und Erwartungen nicht zwangsläufig Druck erzeugen müssen. Ganz im Gegenteil. Die positiven Reaktionen seit »Hey sexy« haben Martin Bechler befreit und beflügelt, weil ihm dadurch klar wurde: Er ist auf dem richtigen Weg. Es gibt Leute da draußen, die das schätzen, feiern und lieben, was er da macht. Und weil Bechler sein Publikum mag und nicht gerne vor den Kopf stößt, nimmt er mit dem neuen Album den Faden auf, mit dem er sich schon auf »Hey sexy« einen Gleitschirm aus großen Momenten und kleinen Sonderbarkeiten genäht hat.
Im Gegensatz zu den ersten beiden Alben ist »Helm ab zum Gebet« kein Alleingang, sondern das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung. Paul Weißert am Schlagzeug und Jenny Thiele am Keyboard, Synthie und Mikro sorgen live schon seit längerem dafür, dass Martin Bechler sich auf der Bühne auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren kann: Wein trinken. Unrasiert eskalieren. Die Maren in der dritten Reihe ins Grübeln bringen, ob der sie von hinten am Bauch umschlingende und ihr viel zu laut und viel zu falsch die Texte ins Ohr brüllende Jochen wirklich der Richtige ist. Und jetzt eben auch auf Platte, was für viele tolle Momente sorgt: Echte Beats von echten Drums etwa. Oder wenn Jennys Gesang den Titelsong in der zweiten Strophe beinahe kapert und zu einem ergreifenden Duett macht. Und apropos Duette: Bei »Die Umarmung der Magneten« singt Enno Bunger mit, ein musikalischer Seelenverwandter. Beim Festival getroffen, bisschen gequatscht, direkt gemocht, die Musik des jeweils anderen eh schon gefeiert und dann was ausgeheckt – so werden in Köln Kooperationen angebahnt.
Die letzten Fortuna Ehrenfeld-Touren haben aber nicht nur dafür gesorgt, dass nun auch auf Platte aus der Ein-Mann-Armee eine Band geworden ist. Sie haben auch klanglich direkte Folgen. Denn Bechlers Stimme ist ordentlich durch den Wolf gedreht. Offenbar hat jeder dieser 130 Auftritte eine Kerbe auf den Stimmbändern hinterlassen, so heiser, gebrochen und kratzig klingt er auf »Helm ab zum Gebet«. Spielt aber keine große Rolle, denn Bechler ist ohnehin kein Sänger, sondern ein Erzähler. Und genau wie die vorherigen Alben hat auch »Helm ab zum Gebet« wieder Unmengen an lyrischen Momenten in petto, die keiner so nonchalant formulieren kann wie er: Das Sehnen nach Sinn. Das Feiern des Augenblicks. Der Torkel nachts um halb vier vor der Kneipe. Panoramamenschen, hustende Kaninchen, eine Frau namens Heliumsabine. Und, natürlich, die Liebe und die Leidenschaft und die Romantik und all das, was schon viel zu oft schlecht besungen wurde aber immer noch viel zu selten gut. Und hier ist es gut, nein: besser, ach: vielleicht sogar am besten gemacht.
Fortuna Ehrenfeld wissen, wie schnell man in diesem Metier vom Emotionalen ins Pathetische kippen kann. Deshalb sorgen sie mit genau gesetzten Brüchen dafür, dass hier keiner vor Ergriffenheit den sterbenden Schwan geben muss. Ein Beispiel von vielen ist der NDW-Klopper »Das ist Punk, das raffst du nie«, der einem in bester Trio-Tradition vors Schienbein tritt. Interessanterweise entwertet das Infantile und das Irritierende die großen Gefühlsmomente dieser Platte nicht, sondern lässt sie im Gegenteil noch echter und noch wahrer wirken. Das ist ein Kunststück, und zwar kein kleines. Genauso wie die Gabe dieser Band, den Songs über Bilder und Assoziationen lediglich einen groben Bedeutungsrahmen mitzugeben. Den Rest müssen dann die Hörer erledigen und sich ihren eigenen Sinn suchen. Ob sie dann am Ende dort landen, wo die Band ursprünglich hinwollte, ist Martin Bechler herzlich wumpe. Schließlich weiß er manchmal selbst nicht so genau, was er da schreibt und warum. Er ist, wenn man so will, der Liedermacher mit dem Mittelfinger.
Und zwar einer mit einem ganz klaren Plan: Wenn sich schon die Texte gerne mal in die Kurve legen, mit Fragezeichen um sich werfen, einen am Kragen packen, in den Arm nehmen und ordentlich rühren und schütteln wie ein Barkeeper den perfekten Martini, soll die Musik es einem nicht auch noch schwer machen. Sondern lieber begleiten, akzentuieren, den passenden Rahmen setzen. Das heißt nicht, dass man hier Easy Listening für den kulturell saturierten Indiepop-Fan geliefert bekommt. Es ist vielmehr die hohe Kunst des Weg- und Auslassens, die Fortuna Ehrenfeld pflegen. Und die im Grunde so funktioniert, dass Bechler die Spuren vollhaut mit hier noch einem Gitarrenmotiv und dort einem Piano-Arpeggio – und dann kommt Produzent René Tinner und löscht den Großteil davon einfach wieder raus. So entsteht Größe durch Reduktion, und so werden Fortuna Ehrenfeld endgültig zu einer Band, die nicht nur lyrisch, sondern auch musikalisch klingt wie keine andere.
Und die dazu einen Output hat, der fast schon beängstigt. Ein paar Tage nach dem letzten Konzert im Dezember 2018 ging es los. Morgens geschrieben, nachmittags aufgenommen, abends gemischt, am nächsten Tag noch einmal drübergehört, fertig: So ist ein Großteil der Songs entstanden.
Melancholisch und euphorisch. Großmäulig und sensibel. Universumsgroß und schnapsglasklein. Das alles und noch so viel mehr ist diese Platte, die nur 37 Minuten dauert, aber Material genug liefert, um damit über die nächsten Wochen und Monate zu kommen. Helm ab? Hut ab! Und jetzt tanz, du Sau!
Ingo Neumayer
- Tracklisting
Disk 1 von 1 (CD)
- 1 Heiliges Fernweh
- 2 Hör endlich auf zu jammern
- 3 Helm ab zum Gebet
- 4 Bad Hair Day
- 5 Das ist Punk das raffst du nie
- 6 Guten Morgen Ehrenfeld
- 7 Der Ablativ von Bumm
- 8 Sanktpankpaul
- 9 Tequila
- 10 Salzblusenkreuz
- 11 Die Umarmung der Magneten
- 12 Die Welt in Teile
- 13 Herbstmeister der Herzen