Aglaja Camphausen & Thomas Falke: Underwater Calling
Über den Tellerrand
Aglaja Camphausen ist eine erfolgreiche Sängerin und klassisch ausgebildete Cellistin. 2022 stellt die deutsche Musikerin ihr neues Album vor, für das sie in dem Kontrabassisten Thomas Falke den perfekten Komplizen fand.
Nur mit Stimme, Bass und Cello blicken sie auf »Underwater Calling« gemeinsam über den Tellerrand klassischer Musik. Dafür trafen sie eine höchst interessante Songauswahl.
Underwater Calling
CD
CD (Compact Disc)
Herkömmliche CD, die mit allen CD-Playern und Computerlaufwerken, aber auch mit den meisten SACD- oder Multiplayern abspielbar ist.
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- Label: Meyer, 2021
- Bestellnummer: 10810401
- Erscheinungstermin: 14.1.2022
Filmausschnitte/Videotrailer
*** Digipack
Wenn ich Musik mache, wenn ich singe, wenn das Instrument von alleine zu klingen anfängt, dann ist es wie in einer anderen Welt. Es existiert eine Zwischenwelt.
Es gibt diese Bilder mit einem räumlichen Eindruck von Tiefe, 3D Bilder, auf die siehst du eine Weile und es stellt sich ein neues Sehen ein. Und sobald die Augen in der richtigen Spannung/Entspannung sind, kannst du sie schweifen lassen und dich in einer neuen Welt umsehen.
Das nennt man stereoskopisches Sehen.
Wenn nun also das Bewusstsein im Strom von Musik, Klang und Text in die richtige Spannung/Entspannung gerät, wenn ich sozusagen eine Weile in die Musik hinein höre, bis sich ein neues Empfinden einstellt, gelange ich beim Musik machen in einen Zustand, in dem Töne, Melodien, Klänge und Phrasen andere Dimensionen annehmen. Und ich weiß nicht, wohin es mich führen wird. Atmosphäre, Licht, Ambiente, Ausdehnung - ich kann mich umsehen im Flow. Es ist wichtig, ruhig zu bleiben, die Zauberwelt nicht zu stören und sie zunächst einmal wirken zu lassen. Erst dann kann ich anfangen, eine Ecke genauer anzusehen, ich sehe alles genau an, neugierig, ruhig, ohne Wertung. Es ist aufregend, da ich nie weiß, was sich entfalten wird.
Und schließlich beginne ich damit, diese Welt zu beeinflussen. Mit Stimme, Ton, Intensität, Tempo - aber vor allem mit meinem Bewusstsein, meinem Willen. Bewusstheit im Unbewussten. Ich nehme ganz sachte und vorsichtig Einfluss auf verschiedene Parameter, auch hier lasse ich mich leiten - von was eigentlich? Ich wage mich daran, eine Farbe klarer leuchten zu lassen, ein Gefühl stärker zu fokussieren, einen Klang zu nuancieren, die Stimmung leicht einzutrüben oder aufzuhellen: fahl oder strahlend, laut oder leise, sanft oder brutal, pastellen oder grell. Oder alles dazwischen. Und es beginnt meine Phantasiereise in der Anderswelt, in der ich vor Verzücken acht geben musst, um sie nicht aus Versehen zu stören.
In diesem Kosmos macht es keinen Unterschied, um welche Art von Musik es sich handelt. Denn die Wahrheit ist: berührend ist, was berührt. Und zwar den Interpreten. Also mich. Und alles was mich tief berührt wird auch den Zuhörenden tief berühren, wenn es gelingt, diese Tiefe zum klingen zu bringen. Ich kann ein Publikum idealerweise mitnehmen in meine Welt und durch seine Energie, durch seine Imagination erweitert sie sich und nimmt unmerklich andere Dimensionen an. So erschaffen wir gemeinsam unser musikalisches Erleben, es ist ein Geben und Nehmen.
Und je besser die Musik, je mehr sie in mir klingt, desto aufregender. In ihre Sphäre einzutauchen macht süchtig.
Die Komposition legt die Schienen, die Lokomotive ist das Instrument. Und dann beginnt das mäandern durch Landschaften - mit und ohne Mitreisende.
So fühlt sich stereoskopisches Hören an.
Mein Elternhaus war geprägt von klassischer Musik, mein Vater war Geiger im Gürzenich Orchester Köln und ließ zu seinem Vergnügen entweder Mozart oder Wagner in Überlautstärke im Wohnzimmer laufen. Immer war Musik - eben auch Klassik - mein tiefstes Empfinden, meine größte Begabung, mein Tor zur Phantasie. Während meinem Cellostudium führte ich mit den Mit-Studierenden endlose Diskussionen, in denen ich sie zu überzeugen versuchte, dass es möglich ist, eine Farbe zu spielen. Noch heute denke ich, dass es geht - die Kraft der Assoziationen müsste so stark sein, dass der Zuhörer das gleiche "sieht" wie man selbst. Das Studium eines Instrumentes setzt neben dieser Musikalität und Imaginär-Fähigkeit allerdings zunächst einmal jahrelang stundenlange Beschäftigung mit Technik, Fingersätzen, Bogenübungen usw. voraus, damit du all das irgendwann wieder vergessen kannst um sorglos die größten technischen Schwierigkeiten hinzunehmen auf dem Weg in die musikalische Zwischenwelt.
Meine Einflüsse waren vielfältig. Frank Zappa, verehrt von meinem großen Bruder, er nun wieder verehrt von mir. Er hatte alle Platten Zappas und zog mich oft in sein Zimmer um mir diesen genialen Gitarrenriff, jene verrückte Idee, den absurden Text vorzuspielen und mich so in Zappas Welt einzuführen. Und dann: Can! - in allen Plattenstapeln der Familie zu finden. Ich selber fing früh an, mir von meinem ersten Geld Can-Platten zu kaufen, die ich immer noch mit viel Empathie höre. Der Schlagzeuger Jaki Liebezeit, mit dem zu arbeiten ich das Glück hatte, als ich für Aufnahmen mit dem Singer-Songwriter Robert Coyne zunächst als Cellistin, dann als Backgroundsängerin engagiert war. Liebezeit bin ich fast wie ein Groupie gefolgt, wenn er im Stollwerk oder im Rhenania in Köln mit Drums of Chaos getrommelt hat. Ihn konnte ich überall raushören. Einer seiner von mir sehr geschätzten Sätze ist, dass das Metronom sein größter Lehrmeister war. Auch ich sehe im klaren, unerbittlichen Rhythmus eine große Freiheit. Und natürlich: Holger Czukay! Er hat meine Jugend so unendlich bereichert mit seiner rhythmischen, melodischen, poetischen Elektronik. Quasi wie ein Wegbereiter für Electro und House, auch diese Musik oft für mich genial. Czukays Album "On the way to the peak of normal" drehte sich ständig auf meinem Plattenteller.
So ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass ich, nach einer Karriere als Cellistin, klassische Sängerin, Revue-Göre und Gastgeberin meines eigenen (klassischen) Salons nun ein Album vorlege, dass eine völlig neue musikalische Sprache spricht. Diese Stückauswahl und die Reduzierung der Besetzung auf Stimme, Kontrabass und Cello bietet so viel Raum für mein musikalisches Empfinden, dass es an dieser Stelle meiner Laufbahn folgerichtig erscheint: die Reduzierung auf Wesentliches. Weg mit dem "Schnick Schnack" und her mit der Quintessenz.
In dem Kontrabassisten Thomas Falke, der sich mit mir so bereitwillig auf die Suche nach dem Wesentlichen gemacht hat, fand ich den perfekten Komplizen, weil auch er über eine tiefe Musikalität und einen Blick über den "klassischen" Tellerrand verfügt. Die Arbeit mit ihm war wirklich fruchtbar - statt viel zu reden, verständigten wir uns rein musikalisch und hielten immer dann inne, wenn sich ein Zuviel einschleichen wollte. So entstanden diese Arrangements, die sich dem Wesen der Lieder durch rare Tongebung und Mut zur Pause nähern wollen. Gleichzeitig schafft es Thomas, an den passenden Stellen herrlich zu grooven.
Als Initiator und Produzent dieses Albums hat Werner Meyer mit seinem untrüglichen Geschmack den größten Anteil an dieser Aufnahme. Er hat die erstaunliche Gabe, gute Musik und gutes Musizieren sofort zu erfassen, auch wenn Genre oder Machart ihm fremd sein mögen. Für ihn zählt nur: Geht mir nahe oder lässt mich kalt. Ich habe immer gewusst, dass man seinem Geschmack trauen kann und in der Auswahl der aufgenommen Lieder hat er wieder einmal sein Talent bewiesen zu wissen, was zu mir, zu uns passen könnte. Eines der einflussreichsten Lieder der Folk-Ära "Four strong winds" von Ian Tyson war meine erste Aufnahme in dieser Besetzung für das Meyer-Records-Album Volume One. Damals habe ich zu ihm gesagt: Werner, für dich mache ich fast alles, aber Country??? Und dann ist diese Version von Thomas und mir ein heimlicher Hit auf besagtem Album geworden, weil wir sie entschlackt und auf uns zugeschnitten haben. Und Werner hatte es vorher gewusst.
Für seine Reihe Kitchen Recording Series haben wir dann an einem Sonntag Nachmittag alle Songs dieser Platte hintereinander eingespielt. Ohne doppelten Boden, ohne Schnitt. Jeder Song aus einem Guss. Wir waren wie im Rausch. Alles in Werner Meyers Altbauküche, die eine so tolle Akustik hat. Jeder, der schonmal aufgenommen hat weiß, was es bedeutet, einen 5 Minuten Track wie zum Beispiel "Dust, flesh and bones" am Stück aufzunehmen: ein unpassender Ton, ein Knarzen des Stuhls beim Hinsetzen um ein Cello-Solo zu spielen bedeutet schon, alles noch einmal zu machen, wieder tief in die Empfindung einzutauchen. Aber wie durch ein Wunder sind uns stimmungsvolle Gesamtaufnahmen gelungen.
Die von Werner vorgeschlagenen Songs waren mir vorher sämtlich unbekannt und sind mir doch sofort zu Kleinoden geworden. Da ist zum Beispiel "Anyone and everyone", das mich tief beeindruckt - geschrieben, wie auch noch andere Songs unserer LP, von der einzigartigen Lhasa de Sela. Der Text, auf den ersten Blick tröstlich, voller Licht und Zufriedenheit, sät doch subversiv Zweifel - so, als wär alles Glück zerbrechlich: "There´s not enough breath in a single day to pray everyone will be ok". Um diese Fragilität zu erzeugen lasse ich am Anfang des Liedes nur verloren die Stimme klingen. Noch stärker berührt mich die Verwundbarkeit und Brüchigkeit, die aus meiner Lieblingsnummer "Dust, Flesh and bones", im Original von Matt Elliott, sickert. Dieser Song enthüllt, wie sehr alles vergänglich, ja sogar morbide ist. "In the disparate clamour of the chaos that surrounds you - It's hard to know which of the voices that you hear - are your own". Hier schlichen sich bei Thomas und mir unwillkürlich Pausen ein, wie ein Tasten, wie ein ständig neues Erspüren. Doppeldeutigkeiten sind es, die meine Phantasie anregen und merklich in mir widerhallen.
Schön, dass da dann auch noch Stücke sind wie "If I were a carpenter" oder "Memories are made of this" (für das Thomas als Intro eine wunderbare Verfremdung für Cello und Bass geschrieben hat!), die einfach nur fluffig, wolkenlos und voller Verbindlichkeit daher kommen. Eindeutig ein wohltuender Einfluss Thomas', der immer auch sehr viel Positives mitbringt.
Diese Aufnahmen legen mein Zeugnis ab über das, was in der Musik ausdrückbar ist, was allerdings Worte allein nicht sagen können. Über das, was ich beim Musizieren und Erleben der vorliegenden Songs empfunden, wahrgenommen habe - und das ist nie vorhersehbar. Über das, womit ich in Resonanz gehe, dem Hellen und dem Dunklen.
Tanz, auch wenn der Boden unsicher ist, aber tanz. Trau dich. Denn nichts ist sicher. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit diesen Worten ist für mich erst durch unsere durchsichtige, reduzierte Besetzung möglich geworden. Danke Thomas. Danke Werner.
Underwater calling. Ich wünsche euch beim Anhören dieses Albums Assoziationen und Ausflüge in Phantasiewelten. Hauptsache Musik. Denn die Wahrheit ist: berührend ist, was berührt.
Aglaja
Es gibt diese Bilder mit einem räumlichen Eindruck von Tiefe, 3D Bilder, auf die siehst du eine Weile und es stellt sich ein neues Sehen ein. Und sobald die Augen in der richtigen Spannung/Entspannung sind, kannst du sie schweifen lassen und dich in einer neuen Welt umsehen.
Das nennt man stereoskopisches Sehen.
Wenn nun also das Bewusstsein im Strom von Musik, Klang und Text in die richtige Spannung/Entspannung gerät, wenn ich sozusagen eine Weile in die Musik hinein höre, bis sich ein neues Empfinden einstellt, gelange ich beim Musik machen in einen Zustand, in dem Töne, Melodien, Klänge und Phrasen andere Dimensionen annehmen. Und ich weiß nicht, wohin es mich führen wird. Atmosphäre, Licht, Ambiente, Ausdehnung - ich kann mich umsehen im Flow. Es ist wichtig, ruhig zu bleiben, die Zauberwelt nicht zu stören und sie zunächst einmal wirken zu lassen. Erst dann kann ich anfangen, eine Ecke genauer anzusehen, ich sehe alles genau an, neugierig, ruhig, ohne Wertung. Es ist aufregend, da ich nie weiß, was sich entfalten wird.
Und schließlich beginne ich damit, diese Welt zu beeinflussen. Mit Stimme, Ton, Intensität, Tempo - aber vor allem mit meinem Bewusstsein, meinem Willen. Bewusstheit im Unbewussten. Ich nehme ganz sachte und vorsichtig Einfluss auf verschiedene Parameter, auch hier lasse ich mich leiten - von was eigentlich? Ich wage mich daran, eine Farbe klarer leuchten zu lassen, ein Gefühl stärker zu fokussieren, einen Klang zu nuancieren, die Stimmung leicht einzutrüben oder aufzuhellen: fahl oder strahlend, laut oder leise, sanft oder brutal, pastellen oder grell. Oder alles dazwischen. Und es beginnt meine Phantasiereise in der Anderswelt, in der ich vor Verzücken acht geben musst, um sie nicht aus Versehen zu stören.
In diesem Kosmos macht es keinen Unterschied, um welche Art von Musik es sich handelt. Denn die Wahrheit ist: berührend ist, was berührt. Und zwar den Interpreten. Also mich. Und alles was mich tief berührt wird auch den Zuhörenden tief berühren, wenn es gelingt, diese Tiefe zum klingen zu bringen. Ich kann ein Publikum idealerweise mitnehmen in meine Welt und durch seine Energie, durch seine Imagination erweitert sie sich und nimmt unmerklich andere Dimensionen an. So erschaffen wir gemeinsam unser musikalisches Erleben, es ist ein Geben und Nehmen.
Und je besser die Musik, je mehr sie in mir klingt, desto aufregender. In ihre Sphäre einzutauchen macht süchtig.
Die Komposition legt die Schienen, die Lokomotive ist das Instrument. Und dann beginnt das mäandern durch Landschaften - mit und ohne Mitreisende.
So fühlt sich stereoskopisches Hören an.
Mein Elternhaus war geprägt von klassischer Musik, mein Vater war Geiger im Gürzenich Orchester Köln und ließ zu seinem Vergnügen entweder Mozart oder Wagner in Überlautstärke im Wohnzimmer laufen. Immer war Musik - eben auch Klassik - mein tiefstes Empfinden, meine größte Begabung, mein Tor zur Phantasie. Während meinem Cellostudium führte ich mit den Mit-Studierenden endlose Diskussionen, in denen ich sie zu überzeugen versuchte, dass es möglich ist, eine Farbe zu spielen. Noch heute denke ich, dass es geht - die Kraft der Assoziationen müsste so stark sein, dass der Zuhörer das gleiche "sieht" wie man selbst. Das Studium eines Instrumentes setzt neben dieser Musikalität und Imaginär-Fähigkeit allerdings zunächst einmal jahrelang stundenlange Beschäftigung mit Technik, Fingersätzen, Bogenübungen usw. voraus, damit du all das irgendwann wieder vergessen kannst um sorglos die größten technischen Schwierigkeiten hinzunehmen auf dem Weg in die musikalische Zwischenwelt.
Meine Einflüsse waren vielfältig. Frank Zappa, verehrt von meinem großen Bruder, er nun wieder verehrt von mir. Er hatte alle Platten Zappas und zog mich oft in sein Zimmer um mir diesen genialen Gitarrenriff, jene verrückte Idee, den absurden Text vorzuspielen und mich so in Zappas Welt einzuführen. Und dann: Can! - in allen Plattenstapeln der Familie zu finden. Ich selber fing früh an, mir von meinem ersten Geld Can-Platten zu kaufen, die ich immer noch mit viel Empathie höre. Der Schlagzeuger Jaki Liebezeit, mit dem zu arbeiten ich das Glück hatte, als ich für Aufnahmen mit dem Singer-Songwriter Robert Coyne zunächst als Cellistin, dann als Backgroundsängerin engagiert war. Liebezeit bin ich fast wie ein Groupie gefolgt, wenn er im Stollwerk oder im Rhenania in Köln mit Drums of Chaos getrommelt hat. Ihn konnte ich überall raushören. Einer seiner von mir sehr geschätzten Sätze ist, dass das Metronom sein größter Lehrmeister war. Auch ich sehe im klaren, unerbittlichen Rhythmus eine große Freiheit. Und natürlich: Holger Czukay! Er hat meine Jugend so unendlich bereichert mit seiner rhythmischen, melodischen, poetischen Elektronik. Quasi wie ein Wegbereiter für Electro und House, auch diese Musik oft für mich genial. Czukays Album "On the way to the peak of normal" drehte sich ständig auf meinem Plattenteller.
So ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass ich, nach einer Karriere als Cellistin, klassische Sängerin, Revue-Göre und Gastgeberin meines eigenen (klassischen) Salons nun ein Album vorlege, dass eine völlig neue musikalische Sprache spricht. Diese Stückauswahl und die Reduzierung der Besetzung auf Stimme, Kontrabass und Cello bietet so viel Raum für mein musikalisches Empfinden, dass es an dieser Stelle meiner Laufbahn folgerichtig erscheint: die Reduzierung auf Wesentliches. Weg mit dem "Schnick Schnack" und her mit der Quintessenz.
In dem Kontrabassisten Thomas Falke, der sich mit mir so bereitwillig auf die Suche nach dem Wesentlichen gemacht hat, fand ich den perfekten Komplizen, weil auch er über eine tiefe Musikalität und einen Blick über den "klassischen" Tellerrand verfügt. Die Arbeit mit ihm war wirklich fruchtbar - statt viel zu reden, verständigten wir uns rein musikalisch und hielten immer dann inne, wenn sich ein Zuviel einschleichen wollte. So entstanden diese Arrangements, die sich dem Wesen der Lieder durch rare Tongebung und Mut zur Pause nähern wollen. Gleichzeitig schafft es Thomas, an den passenden Stellen herrlich zu grooven.
Als Initiator und Produzent dieses Albums hat Werner Meyer mit seinem untrüglichen Geschmack den größten Anteil an dieser Aufnahme. Er hat die erstaunliche Gabe, gute Musik und gutes Musizieren sofort zu erfassen, auch wenn Genre oder Machart ihm fremd sein mögen. Für ihn zählt nur: Geht mir nahe oder lässt mich kalt. Ich habe immer gewusst, dass man seinem Geschmack trauen kann und in der Auswahl der aufgenommen Lieder hat er wieder einmal sein Talent bewiesen zu wissen, was zu mir, zu uns passen könnte. Eines der einflussreichsten Lieder der Folk-Ära "Four strong winds" von Ian Tyson war meine erste Aufnahme in dieser Besetzung für das Meyer-Records-Album Volume One. Damals habe ich zu ihm gesagt: Werner, für dich mache ich fast alles, aber Country??? Und dann ist diese Version von Thomas und mir ein heimlicher Hit auf besagtem Album geworden, weil wir sie entschlackt und auf uns zugeschnitten haben. Und Werner hatte es vorher gewusst.
Für seine Reihe Kitchen Recording Series haben wir dann an einem Sonntag Nachmittag alle Songs dieser Platte hintereinander eingespielt. Ohne doppelten Boden, ohne Schnitt. Jeder Song aus einem Guss. Wir waren wie im Rausch. Alles in Werner Meyers Altbauküche, die eine so tolle Akustik hat. Jeder, der schonmal aufgenommen hat weiß, was es bedeutet, einen 5 Minuten Track wie zum Beispiel "Dust, flesh and bones" am Stück aufzunehmen: ein unpassender Ton, ein Knarzen des Stuhls beim Hinsetzen um ein Cello-Solo zu spielen bedeutet schon, alles noch einmal zu machen, wieder tief in die Empfindung einzutauchen. Aber wie durch ein Wunder sind uns stimmungsvolle Gesamtaufnahmen gelungen.
Die von Werner vorgeschlagenen Songs waren mir vorher sämtlich unbekannt und sind mir doch sofort zu Kleinoden geworden. Da ist zum Beispiel "Anyone and everyone", das mich tief beeindruckt - geschrieben, wie auch noch andere Songs unserer LP, von der einzigartigen Lhasa de Sela. Der Text, auf den ersten Blick tröstlich, voller Licht und Zufriedenheit, sät doch subversiv Zweifel - so, als wär alles Glück zerbrechlich: "There´s not enough breath in a single day to pray everyone will be ok". Um diese Fragilität zu erzeugen lasse ich am Anfang des Liedes nur verloren die Stimme klingen. Noch stärker berührt mich die Verwundbarkeit und Brüchigkeit, die aus meiner Lieblingsnummer "Dust, Flesh and bones", im Original von Matt Elliott, sickert. Dieser Song enthüllt, wie sehr alles vergänglich, ja sogar morbide ist. "In the disparate clamour of the chaos that surrounds you - It's hard to know which of the voices that you hear - are your own". Hier schlichen sich bei Thomas und mir unwillkürlich Pausen ein, wie ein Tasten, wie ein ständig neues Erspüren. Doppeldeutigkeiten sind es, die meine Phantasie anregen und merklich in mir widerhallen.
Schön, dass da dann auch noch Stücke sind wie "If I were a carpenter" oder "Memories are made of this" (für das Thomas als Intro eine wunderbare Verfremdung für Cello und Bass geschrieben hat!), die einfach nur fluffig, wolkenlos und voller Verbindlichkeit daher kommen. Eindeutig ein wohltuender Einfluss Thomas', der immer auch sehr viel Positives mitbringt.
Diese Aufnahmen legen mein Zeugnis ab über das, was in der Musik ausdrückbar ist, was allerdings Worte allein nicht sagen können. Über das, was ich beim Musizieren und Erleben der vorliegenden Songs empfunden, wahrgenommen habe - und das ist nie vorhersehbar. Über das, womit ich in Resonanz gehe, dem Hellen und dem Dunklen.
Tanz, auch wenn der Boden unsicher ist, aber tanz. Trau dich. Denn nichts ist sicher. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit diesen Worten ist für mich erst durch unsere durchsichtige, reduzierte Besetzung möglich geworden. Danke Thomas. Danke Werner.
Underwater calling. Ich wünsche euch beim Anhören dieses Albums Assoziationen und Ausflüge in Phantasiewelten. Hauptsache Musik. Denn die Wahrheit ist: berührend ist, was berührt.
Aglaja
Rezensionen
»Kontrabass, Violoncello und Stimme...mehr benötigen die beiden auch nicht, um eine knisternde Stimmung zu erzeugen.« (Good Times, Februar/März 2022)»Ein anspruchsvoller Songparcours, der mehrere Genres abdeckt und bei dem sich die Künstler primär um Reduktion bemühen. ... zeitlos gute Musik, einfach zeitlos gut gemacht.« (stereoplay, März 2022)
»Die beiden bringen zehn mit Bedacht gewählte Stücke zum Vortrag, der von der ersten bis zur letzten Minute fesselt.« (Stereo, April 2022)
- Tracklisting
Disk 1 von 1 (CD)
- 1 Forget about
- 2 All the world is green
- 3 Dust, flesh and bones
- 4 If I were a Carpenter
- 5 Love came here
- 6 Anyone and everyone
- 7 Where do you go
- 8 I never cared for you
- 9 Memories are made of this
- 10 Four strong winds