Paul Motian: Europe auf CD
Europe
Herkömmliche CD, die mit allen CD-Playern und Computerlaufwerken, aber auch mit den meisten SACD- oder Multiplayern abspielbar ist.
(soweit verfügbar beim Lieferanten)
- Label:
- Winter & Winter
- Aufnahmejahr ca.:
- 2000
- Artikelnummer:
- 3738973
- UPC/EAN:
- 0025091006328
- Erscheinungstermin:
- 21.5.2001
Es war Morgengrauen in Manhattan an einem frischen Frühlingsmorgen, aber Paul Motian, der wenige Wochen zuvor seinen 70. Geburtstag gefeiert hatte, war schon hellwach und bereit eifrig über seine momentanen musikalischen Aktivitäten, sowie über seine dritte Winter & Winter-Aufnahme - Europe - mit der Electric Bebop Band (E. B.B. B.) zu sprechen. »Ich fühle mich grossartig, ich bin in guter Verfassung« sagte der Schlagzeuger, Komponist und Bandleader auf meine Frage, wie es denn sei, ein Alter erreicht zu haben, welches ihn zu einem grossen, vornehmen alten Mann im Jazz qualifiziert. »Ich fühle mich glücklich, seitdem die meisten meiner Freunde tot und begraben sind« gab er zu, »aber ich denke es ist die Musik die mich am Leben hält und die Musik findet definitiv statt. Ich fange nun an, einige von meinen Stücken der Band vorzustellen, zusätzlich zu der Musik von Bud Powell, Tadd Dameron und anderen Meistern des Bebop und ich liebe es einfach, wieviele Klänge uns zur Verfügung stehen, wenn wir sechs alle zusammen spielen.«
Motian sprach eine Weile über die Signifikanz des Titels der neuen CD, die Europa und der Unterstützung der dort ansässigen kreativen Musikgemeinde gewidmet ist. »Wir nahmen in den Bauer Studios in Ludwigsburg, Deutschland im Juli 2000 auf, während die E. B.B. B. im letzten Sommer auf Europatour war. Als ich sah, dass wir einige Tage frei hatten, kontaktierte ich Stefan Winter, der dann alles arrangierte«, erinnerte sich Motian. »Die amerikanische Musikszene hat sich in letzter Zeit sehr verändert und es scheint, dass heutzutage fast alle meine Gigs in Europa sind« erklärte er und fügte hinzu, dass er gerade ein dreitägiges Gastspiel im Birdland in New York, zusammen mit Paul Bley und Gary Peacock vollendet habe. »Ich arbeite kaum noch in den USA und trete dort selten mit der E. B.B. B. auf, da diese Band sehr schwierig zu buchen ist. Ich weiss nicht, ob es die Grösse der Band oder der Name ist, der die Leute davon abbringt, aber ausser meinem europäischen Agenten Thomas Stöwsand in Österreich ist niemand da, der uns heute vertritt. Wir haben einmal im Jahr im Sweet Basil gespielt, aber ich habe gerade gehört, dass es schliesst. Dann bleibt wirklich nur noch die Knitting Factory als ein lebensfähiger Club in New York. In Europa jedoch ist das anders« fährt Motian fort: »Ich habe dort verschiedene Male im Trio mit Marylin Crispell und Gary Peacock gespielt und habe gerade eine weitere Trio-Tour in Frankreich mit dem Bassisten Bruno Chevillion und dem Pianisten Stéphane Oliva gemacht, die jeden Abend 200 bis 400 Leute angezogen hat. Das war grossartig. Bruno und Stéphane lieben meine Musik wirklich, sie haben mich vor einigen Jahren kontaktiert, als sie mit mir spielen wollten und haben sehr viel Zeit aufgewandt um Arrangements zu schreiben.« Er führte ausserdem auf, dass er ein regelmässiger Gast des Vicenza Festivals in Italien ist. »Letztes Jahr habe ich dort mit Phil Woods einen Tribut an Charlie Parker und Bill Evans gespielt und im Vorjahr trat ich im Rahmen eines Ellington-Tributs auf. Dieses Jahr werde ich ein Duo mit Bill Frisell spielen und wir reden bereits darüber, im Jahr 2002 die E. B.B. B. in ein grösseres Ensemble zu integrieren, um Monks historisches Town Hall Konzert von 1959 wiederzuerschaffen.«
»Europe«, enthält neun Stücke. Unter ihnen befinden sich innovative Arrangements dreier Modern Jazz-Raritäten von Monk sowie je eines von Dameron, Charlie Parker und Herbie Nichols, zwei Motian-Schöpfungen und ein Stück des Gitarristen Steve Cardenas. Es ist das 19. Projekt, das Stefan Winter mit Motian produziert hat. Und das zweite, welches einen Meilenstein im Leben des Schlagzeugers markiert (Winter nahm »Motian in Tokyo« am 60. Geburtstag des Drummers auf). Die Darbietungen nutzen alle Vorteile der Zusammensetzung aus zwei Gitarren, zwei Saxophonen, Bass und Drums aus und das Ensemble erzeugt im Zusammenspiel einen verwickelten akustischen Wandteppich, mit Instrumenten, die sich wie Schallfäden miteinander verflechten. Die verträumten nächtlichen Stimmungen von Motians Ballade »Blue Midnight«, Damerons »If You Could See Me Now« und »New Moon« von Cardenas sind dominante Themen der CD. Andere hervorzuhebende Aspekte der Aufnahme sind die schrulligen Melodien der Monk-Kompositionen »Oska T«, »Introspection« und »Gallops Gallop«, sowie Nichols »2300 Skidoo«. Motian erinnerte sich, kurz nachdem er nach New York gezogen war, im Café Bohemia einmal mit Nichols zusammen gespielt zu haben, einem aussergewöhnlichen wie obskuren Modern Jazz-Pianisten und überaus fruchtbaren Komponisten von 170 Stücken, der zur Zeit seines Todes tragischerweise zu wenig wahrgenommen wurde. Er verstarb im Alter von 44 Jahren an Leukämie. »Es muss in der Zeit um 1955 oder 1956 gewesen sein und ich war gerade sozusagen am Anfang« holte Motian aus: »Ich wusste noch nicht allzu viel, aber ich merkte, dass Nichols ein ähnlich herausfordernder Schreiber wie Monk war. Ich war wirklich beeindruckt von dem Kontrast zwischen dem schönen, sanft sprechenden Menschen der er war und der Komplexität seiner Musik. Heute, circa 45 Jahre später, weisen die Musiker noch immer darauf hin, wie schwierig ›2300 Skidoo‹ zu spielen ist.
Motian hat es sich zur Priorität gemacht, aufkommenden Künstlern das Wissen und die Erfahrung zu vermitteln, die sich bei ihm angesammelt haben, seitdem er im Alter von 24 Jahren ein Teil der pulsierenden New Yorker Jazzszene geworden ist und auf eine Karriere zurückschauen kann in der er mit einer All-Star Auswahl von Künstlern zusammengespielt hat, die unter anderem die Pianisten Lennie Tristano, George Russell, Bill Evans und Keith Jarrett, die Saxophonisten Sonny Rollins, John Coltrane, Coleman Hawkins, Charles Lloyd und Pharoah Sanders, sowie die Bassisten Oscar Pettiford, Scott LaFaro und Charlie Haden enthält. Die Pianistin Geri Allen, der Gitarrist Bill Frisell und die Saxophonisten Joe Lovano und Chris Potter sind nur vier der jüngeren Künstler, deren Zusammenkunft mit Motian in den 80er und 90er Jahren förderlich in ihrer kreativen Entwicklung war. Heute steht dem Drummer mit der E. B.B. B. und seinen Mitgliedern ein multinationales, sowie multigenerationales Laboratorium für frische und herausfordernde musikalische Interaktionen, Inventionen und Versuchsweisen zur Verfügung.
›Die Besetzung der Band ist eine andere, als die mit der ich 1999 unterwegs war‹, erklärte Motian, ›Anders Christensen, ein dänischer Bassist aus Kopenhagen hat Steve Swallow ersetzt, der Saxophonist Pietro Tonolo spielt an Chris Potters Stelle und Cardenas ersetzt Kurt Rosenwinkel‹ führte er fort. ›Steve arbeitet wirklich gut mit unserem anderen Gitarristen Ben Monder zusammen und Pietro ist einfach ein guter Zusatz. Ich bin nicht verrückt nach dem Sopransaxophon, jedoch spielte Pietro es auf einem Bud Powell-Stück in einem Konzert. Ich liebte es und es erweiterte das Klangspektrum der Band erheblich. Ich traf Pietro als ich mit seiner Band 1999 den Ellington-Tribut in Vicenza gespielt habe und es endete damit, dass ich ihn angestellt habe‹ erinnerte sich Motian lachend. ›Er spricht einige Sprachen, was uns sehr weiterhilft, wenn wir in Europa sind - und er hat uns durch Italien während eines Eisenbahnerstreiks gebracht, was wirklich ein Wunder war!‹
- Mitchell Feldman
Rezensionen
M. Inhoffen in stereoplay 7/01: »Das ist Jazz, der sich jeglicher Einordnung in Schubladen verweigert - und gleichzeitig eine Reife ausstrahlt, wie sie nur die Besten des Fachs vorweisen können.«Disk 1 von 1 (CD)
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1 Oska T
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2 Birdfeathers
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3 Blue midnight
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4 Introspection
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5 New moon
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6 Fiasco
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7 Gallops gallop
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8 If you could see me now
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9 2300 Skidoo
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