Wladimir Kaminer: Es gab keinen Sex im Sozialismus
Es gab keinen Sex im Sozialismus
Buch
- Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts
- Illustration: Vitali P. Konstantinov
- Goldmann, 03/2009
- Einband: Kartoniert / Broschiert, ,
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783442542659
- Bestellnummer: 2031460
- Umfang: 240 Seiten
- Sonstiges: m. Illustr.
- Copyright-Jahr: 2009
- Gewicht: 240 g
- Maße: 187 x 120 mm
- Stärke: 21 mm
- Erscheinungstermin: 15.3.2009
- Serien: Goldmanns Taschenbücher - Band 54265 , Manhattan
Klappentext
Good bye, Lenin - hier kommt der Sozialismus, wie Wladimir Kaminer ihn siehtMit hintergründigem Witz und ironischem Augenzwinkern erzählt Wladimir Kaminer Geschichten aus seiner untergegangenen Heimat, der Sowjetunion. Es ist ein Land voller Überraschungen und Abenteuer, vom Kauf eines Neuwagens über die lebensgefährlichen Feierlichkeiten am Tag der Kosmonautik bis zur täglichen Schnäppchenjagd. Besonders günstig waren in der UdSSR übrigens nicht nur Brillen, Streichinstrumente und Nasentropfen, sondern auch Steppenschildkröten aus Kasachstan. All das und noch viel mehr erfährt der Leser in diesen hinreißend komischen neuen Geschichten von Deutschlands Lieblingsautor Wladimir Kaminer.
Originalausgabe mit 30 brandneuen, liebevoll illustrierten Geschichten.
Auszüge aus dem Buch
Diese Geschichte begann vor dreiundzwanzig Jahren. Damals, in den frühen Achtzigern des vorigen Jahrhunderts, war die Welt noch unerforscht und voller weißer Flecken. Nur wenige Auserwählte durften sie bereisen, um anderen Kulturen persönlich zu begegnen, der Rest war auf die regionale Presse und das Fernsehen angewiesen, wenn er etwas von der Welt wissen wollte. Die Medien wussten damals noch nicht, was eine unabhängige Berichterstattung ist, ihr Weltbild hatte nur wenige Farben: Auf der einen Halbkugel wohnten die Amerikaner, sie trugen komische Frisuren, tranken Whisky und tanzten Rock 'n' Roll.Auf der anderen Seite wohnten die Russen, sie trugen Pelzmützen, tranken Wodka und tanzten Kasatschok. Beide Seiten waren nicht gut aufeinander zu sprechen und hatten deswegen ihre Länder mit Bomben und Raketen gespickt, um jederzeit sich selbst und die anderen in die Luft sprengen zu können.
Trotzdem gab es auf beiden Seiten immer wieder Versuche, die Menschen der zwei Halbkugeln einander näherzubringen. "Citizen Diplomacy" nannte sich das im Westen. Dort kam ein Mann namens Steve, der spätere Mitbegründer des Computerkonzerns Apple, 1982 auf die Idee, Russen und Amerikaner in einer Fernsehsendung live miteinander reden zu lassen. Diese Idee wurde in Vorbereitung eines Rockfestivals in San Bernardino, Kalifornien, geboren. Für dieses Festival baute die Firma von Steve riesige Bildschirme auf, groß wie Wohnhäuser. Es war eine technische Revolution, dank der fortan Zigtausende gemeinsam fernsehen konnten. Man brauchte nur noch ein spannendes Programm.
Wenn man solche Leinwände an öffentlichen Orten aufstellt und die Fernsehübertragung durch Sateliten herstellt, könnten sich ganze Völker live miteinander unterhalten, dachte Steve. Seine Idee bekam den Namen "Telebrücke" und wurde auf beiden Seiten der ideologischen Mauer von den politischen Eliten mit Respekt aufgenommen. Der Kalte Krieg ging inzwischen allen auf die Nerven, und man suchte nach alternativen Lösungen. So gelangte auch die Abrüstung auf die Tagesordnung.
Am 5. September 1982 fand die erste und gleichzeitig letzte Telebrücke statt. Zum ersten Mal hatten Russen und Amerikaner Gelegenheit, außerparlamentarisch direkt miteinander zu sprechen. Beide Seiten bereiteten sich gut auf dieses Ereignis vor. Auf amerikanischer Seite versammelten sich im Glen Helen Park von San Bernardino zweihundertfünfzig als amerikanische Jugendliche verkleidete CIA-Agenten, um die sowjetische Öffentlichkeit mit hinterhältigen Fragen plattzumachen. Aber die Russen waren auch nicht dumm. Sie hatten in einem Moskauer Fernsehstudio eine komplette sozialistische Arche Noah versammelt: Männer, Frauen, Kinder, Arbeiter und Bauern, Künstler, Intellektuelle, ein paar Gäste aus den Bruderrepubliken, die ganz zufällig vorbeigekommen waren, und dazu noch zwei sozialistische Rockbands mit lustigen unpolitischen Namen wie Der Sonntag und Die Blumen.
Trotz guter Vorbereitung ging einiges bei dieser Telebrücke schief, wie immer, wenn modernste Technik zum ersten Mal zum Einsatz kommt. Fragen und Antworten waren nicht deckungsgleich, sie mussten ständig hin und her übersetzt werden, bald verstand keiner mehr den anderen. Die verkleideten CIA-Agenten saßen lässig im Park bei Sonnenuntergang, in Russland war es dagegen sechs Uhr morgens. Es fiel meinen Landsleuten schwer, sich um diese Zeit schon auf die Völkerverständigung zu konzentrieren. Gequält lächelnd und angespannt locker saßen sie im Studio. Wie Geiseln, die von unsichtbaren Terroristen bedroht werden und nach außen hin zeigen sollen, dass es ihnen gut geht. Die zivile Kleidung passte nicht zu den Frisuren der Männer, die Frauen dagegen trugen zu viel Schminke im Gesicht.
Trotz der frühen Stunde klebten Millionen in Russland an der Glotze, die Sendung war eine kleine Sensation. Das Gespräch ging jedoch nicht wirklich voran. Die erfolgreichen Ernten und die Fortschritte im Maschinenbau interessierten die am
Biografie (Wladimir Kaminer)
Wladimir Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren. Er absolvierte eine Ausbildung zum Toningenieur für Theater und Rundfunk und studierte anschließend Dramaturgie am Moskauer Theaterinstitut. Seit 1990 lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin. Kaminer veröffentlicht regelmäßig Texte in verschiedenen deutschen Zeitungen und Zeitschriften, hat eine wöchentliche Sendung namens "Wladimirs Welt" beim SFB4 Radio MultiKulti, wo er jeden Samstag seine Notizen eines Alltags-Kosmonauten zu Gehör bringt, und er organisiert im Kaffee 'Burger' Veranstaltungen wie seine inzwischen berüchtigte "Russendisko". Mit der gleichnamigen Erzählsammlung avancierte das kreative Multitalent über Nacht zu einem der beliebtesten und gefragtesten Jungautoren in Deutschland. 2006 erhielt Wladimir Kaminer den Literaturpreis der Stahlstiftung Eisenhüttenstadt.Anmerkungen:
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